Sabine M. Gruber traf das Posaunenquartett Trombone Attraction anlässlich des 10-jährigem Jubiläum zum Interview.
„Ohne den Musikverein wären wir nicht das geworden, was wir heute sind.“ Das Ensemble Trombone Attraction, seit über zehn Jahren aktiv und attraktiv, feierte sein Jubiläum – selbstverständlich im Wiener Musikverein.
Namen erzählen Geschichten. „Trombone Attraction – wie seid ihr eigentlich zu diesem Namen gekommen?“, lautet daher meine erste Frage an die vier anziehenden jungen Männer, die ich zu einem mittäglichen Gespräch treffe, im Hinterzimmer eines Lokals im zweiten Wiener Gemeindebezirk. Vintage Möbel – niedrige Tische, Sofas, Stil-Polsterstühle und Fauteuils. Gewagt gelungener Stilmix. „Dazu“, sagt Raphael Stieger, der sich mir gegenüber lässig in einen Fauteuil lehnt, „gibt‘s a G’schicht!“
Alles andere als 08/15
Raphael ist der Älteste in diesem jungen Quartett, zweiunddreißig und Kärntner. Aus dem südlichsten Bundesland stammt auch Stefan Obmann, mit achtundzwanzig Jahren der Jüngste. Er ist für die Organisation dieses unkomplizierten Treffens verantwortlich und so etwas wie der Anführer oder Sprecher. Er sitzt Raphael schräg gegenüber, auf einem Sofa. Die beiden erzählen also die G‘schicht, in einer Doppelconférence, werfen einander die Bälle zu. Ein eingespieltes Team. „Unser erster Name war eigentlich – 08/15. Ja, Wir wollten an diesem Wettbewerb teilnehmen. Genau, dafür hatten wir uns ja ursprünglich zusammengetan. Obwohl wir dort dann gar nicht gespielt haben! Ja, weil wir zu spät dran waren, mit dem Namen. Der war aber auch nicht das richtige für uns. Sind wir bald draufgekommen.“ Und Christian Poitinger wirft ein: „08/15 – genau das sind wir eben nicht.“ Christian sitzt auf dem Sofa, rechts neben Stefan, spricht ruhig und zurückhaltend, mit oberösterreichischem Akzent und merklich tiefer als seine beiden Kärntner Kollegen, wohl eher Tenöre, ja, und sie spielen auch Tenorposaune. Christian ist nicht nur von seiner Stimmlage her Bass, er spielt auch die tiefste, die Bassposaune.
Vier Freunde
Einer hat sich bisher noch nicht zu Wort gemeldet, Martin Riener. Er hat sich einen Polsterstuhl dazugestellt, gegenüber dem Sofa, und verfolgt von schräg oben mit großen aufmerksamen Augen das Geschehen. Seine Spezialität ist die Altposaune. Vor wenigen Wochen ist er bei den Wiener Symphonikern aufgenommen worden. Wenn er später etwas sagen wird, dann wird man hören können, dass er bestimmt kein Bass ist, dafür aber Oberösterreicher, so wie Christian. Die beiden kennen einander schon ewig. Sie sind je neunundzwanzig Jahre alt und zusammen ins Linzer Musikgymnasium gegangen. Wir spüren schon – es handelt sich hier um vier Menschen, die, wenn sie es nicht schon waren, auf jeden Fall im Laufe der letzten zehn Jahre Freunde geworden sind. „Das macht die Sache leichter!“, bestätigt Stefan. Ach ja, der Name! Ein Onkel von Stefan ist schließlich darauf gekommen. Der Name hat sich als perfekt erwiesen. International, trotzdem verständlich. „Vor allem noch von niemand anderem verwendet. Ist gar nicht leicht so etwas zu finden!“ „Trombone Attraction“ beschreibt nicht nur die strahlende Anziehungskraft von Instrument und Ensemble, sondern enthält auch einen Hinweis auf die Spieltechnik – das Ziehen.
Chor der Engel und Jüngstes Gericht
„Die Posaune war das erste chromatisch spielbare Blechblasinstrument“, erklärt (während im Hintergrund die Espressomaschine ein ohrenbetäubendes Geräusch von sich gibt) Christian, „deshalb wurde es zur Unterstützung der Vokalstimmen colla parte eingesetzt, die ganze Renaissance Literatur hindurch.“ Was macht den Klang der Posaune so überaus anziehend? Hat es nicht auch damit zu tun, dass der Klang uns seit Kindertagen vertraut ist? Es könnte jedenfalls für all jene gelten, die auf dem Land aufgewachsen sind… „Als Kind habe ich mich einfach in diesen Klang verliebt“, sagt Christian, „und deshalb habe ich dieses Instrument gewählt. Ich könnte mir kein anderes vorstellen.“ Es ist schon so: In der Blasmusikkapelle begleitet die Posaune uns praktisch von der Wiege bis zur Bahre. Ihr Klang erinnert uns an Taufen, Firmungen, Hochzeiten, Festgottesdienste, Weihnachten, Militärparaden, runde Geburtstage und Begräbnisse. Die Posaune steht für den Chor der Engel ebenso wie für das Jüngste Gericht. Einfach alles ist in ihrem Klang gespeichert und wird wachgerufen, wenn wir ihn hören, unsere gesamte Gefühlspalette von fröhlich, gerührt, glücklich, feierlich, nachdenklich oder todtraurig. Der Posaunenklang hat aber nicht nur etwas Klassisches und etwas Ländliches, sondern durchaus auch etwas Lässiges an sich, denn das Instrument spielt ja eine wichtige Rolle im Jazz. Nicht zuletzt ist die Posaune auch in der zeitgenössischen Musik beliebt. Im Klang der Posaune spürt man bei jedem Ton die ungeheuere potenzielle Energie, die sich in einer romantischen Symphonie lautstark und strahlend entlädt, in einer barocken Fuge im präzisen farbigen Tupfen zügelt, im Jazz swingend entspannt, sich jederzeit stufenlos dynamisch steigern und von einem Ton zum anderen gleiten kann. „Stilistisch haben wir“, sagt Stefan, „überhaupt keine Beschränkungen oder Berührungsängste. Einige moderne Komponisten haben zum Beispiel speziell für uns Stücke geschrieben.“
Perfekt aus der Pause
Alle vier spielen auch in Orchestern, fix oder frei – Volksoper, Symphoniker, Philharmoniker… Was ist der Unterschied zum Ensemblespiel? „Das brauchen wir unbedingt, als Ausgleich,“ meldet Martin sich zu Wort. „Im Quartett spielen wir an einem Abend mehr Töne als im Orchester in einem ganzen Jahr. Im Orchester sitzt man hauptsächlich da, hört den Kollegen zu und zählt die Takte bis zum nächsten Einsatz.“ Und Raphael ergänzt: „Ja, und nach 100 Takten Pause muss man einen perfekten und sauberen Akkord spielen. Es wird total unterschätzt, wie schwierig das ist.“ „Im Quartett“, meint Stefan, „kann sich jeder von uns ausdrücken. Sogar vieles ausdrücken, was er mit anderen Mitteln gar nicht könnte. Jeder von uns hat seine Fähigkeiten erweitert, wir haben unsere Stärken erkannt. Martin zum Beispiel spielt einfach am besten Altposaune. Raphael arrangiert und komponiert Stücke und ist ein toller Moderator. Ich moderiere und bin gut im Organisieren, und“ – alle blicken auf Christian: „Ich? Ich kann super CDs verkaufen!“
Geübt aus den Fugen
Die vier Posaunisten, das steht außer Frage, nehmen sich selbst nicht tierisch ernst. Sehr ernst hingegen nehmen sie das mit der Qualität, also mit dem Üben. Wobei Üben nicht unbedingt bedeutet, wieder und wieder eine schöne Melodie zu spielen, sondern wirklich: die täglichen Übungen machen. Knochenarbeit. Für Partnerinnen, Verwandte, Nachbarn oder auch Haustiere – durchaus gewöhnungsbedürftig. „Also meine Frau und meine Schwiegermutter“, sagt Stefan, „wenn ich oben übe, dann passen die unten genau auf. Wenn ich eine von meinen Übungen auslasse, dann werden die ganz nervös!“ Auch Christians Hund zeigt Verständnis und Empathie. „Wenn ich etwas geübt habe, hat der immer mitgesungen.“ (Christian macht das Tier nach, täuschend ähnlich.) Ernst nehmen die Vier vor allem das Publikum, dieses mitunter aber auch auf die Schaufel. „Wir haben da eine Bach-Fuge geprobt“, erzählt Stefan, „die immer mehr aus den Fugen gerät, geplant natürlich, und am Ende gibt‘s einen Riesenstreit auf der Bühne, wer an dem Desaster schuld ist. Die Veranstalterin hat mich nach der Probe beiseitegenommen: „Super macht ihr das! Und wegen der Bach-Fuge, da macht‘s euch keine Sorgen, das wird schon noch werden, bis zur Premiere.“
Gewagt gelungen
Ein gewagt gelungener Stilmix zeichnet die Bühnenshows von Trombone Attraction aus – ein bisschen so wie das Lokal, in dem wir dieses Gespräch führen. Es ist nichts Ungewöhnliches, dass auf Anton Bruckner Duke Ellington folgt oder eine Bach-Fuge zwischen eine Komposition von Raphael Stieger und „Fly me to the moon“ gerät. Dazwischen wird launig moderiert. Oder gelesen. Zum Beispiel humorvolle und nachdenkliche Eugen-Roth-Gedichte im aktuellen Programm „Mensch“. Von Raphael. Oder Stefan. Oder, vor einigen Jahren noch undenkbar: Christian! Nur Martin spricht auf der Bühne wenig. Er konzentriert sich auf das, was er neben Altposaunespielen am besten kann, nämlich (aller Augen ruhen auf ihm): Schönsein! Das zweite aktuelle Programm von Trombone Attraction ist für Kinder konzipiert, was keineswegs bedeutet, dass es nicht auch Erwachsenen Spaß macht: „Max und Moritz“. „Von den Kindern lernen wir am meisten“, sagt Stefan. „Kinder sind beinhart und sagen sehr direkt, was sie von einem Musikstück halten. Wir gehen immer darauf ein, wenn ein Kind etwas Bestimmtes hören will. Warum sollten wir das auch nicht tun!?“
Spezieller Dank
Im Gläsernen Saal feiern die vier Posaunisten mit einem Best-of-Programm ein für ihr Alter erstaunliches Jubiläum: Auf den Tag genau vor zehn Jahren haben sie einander im Keller der Wiener Volksoper zur ersten Probe getroffen. Ein Jahr später schon sind sie im Gläsernen Saal zum ersten Mal aufgetreten – und seither tun sie das mit schöner Regelmäßigkeit. „Eine tolle Chance und ein Ausdruck von Vertrauen“, sagt Stefan. „Ohne den Musikverein, wären wir nicht das geworden, was wir heute sind. Mit diesem Konzert sagen wir ein ganz großes: DANKE!“ P.S.: Kleiner Hinweis von Christian: „Bisher sind drei CDs erschienen. Allesamt sehr empfehlenswert!“
Sabine M. Gruber ist Musikpublizistin, Schriftstellerin und Übersetzerin. Sie veröffentlichte neben Romanen und Erzählungen auch das in mehreren Auflagen erschienene Buch „Unmöglichkeiten und die schönsten Möglichkeiten. Die Sprachbilderwelt des Nikolaus Harnoncourt“.